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Eine der bemerkenswertesten Figuren im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist zweifellos Roman Abramowitsch. Der Oligarch und Multimilliardär, bekannt vor allem als bisheriger Besitzer des englischen Fußballklubs Chelsea FC, gilt seit Jahren als enger Weggefährte Wladimir Putins (69). Doch im aktuellen Disput der beiden Länder steht Abramowitsch (55) nicht einfach auf der russischen Seite. Vielmehr fungiert er als Vermittler, pendelt zwischen Moskau, Kiew und Istanbul – und versucht zugleich von seinem durch Sanktionen bedrohten Milliardenvermögen zu retten, was zu retten ist.
In den Fokus der Öffentlichkeit geriet Abramowitsch zuletzt gleich zweimal: So war er vor wenigen Tagen bei den Verhandlungen zwischen russischen und ukrainischen Unterhändlern in Istanbul zugegen. Fotos zeigen Abramowitsch im Istanbuler Dolmabahce Palast, einer früheren Sultans-Residenz, die heute für staatliche Anlässe wie die russisch-ukrainischen Gespräche genutzt wird. Dort ließ sich der Oligarch beispielsweise beim Smalltalk mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan (68) und dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu (54) ablichten. Während später die Unterhändler der Kriegsparteien am großen Konferenztisch diskutierten, verfolgte Abramowitsch das Geschehen live im Saal aus der ersten Reihe.

Ungefähr zeitgleich zum jüngsten Treffen in Istanbul wurde zudem publik, Abramowitsch sowie ukrainische Regierungsvertreter seien womöglich bei einem früheren Treffen Anfang März in Kiew vergiftet worden. Der russische Milliardär sowie Rustem Umerow (39), ein Gesandter des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj (44), und weitere Teilnehmer einer Runde hätten unter roten, tränenden Augen und Hautablösungen im Gesicht und an den Händen gelitten, schrieb das "Wall Street Journal". Dem Bericht zufolge wurden Hardliner in Moskau hinter der Attacke vermutet. Der mögliche Giftanschlag wurde Medien zufolge zwar vonseiten Abramowitschs bestätigt. Laut "New York Times" soll der Oligarch dabei sogar Angst um sein Leben gehabt haben. Die ukrainische Seite sowie auch der Kreml in Moskau dementierten die Darstellung jedoch.
Fest steht, dass Abramowitsch seit Kriegsausbruch als umtriebiger Vermittler zwischen den Fronten wirbelt. Das wird zwar nicht von allen Beobachtern begrüßt. Die britische Außenministerin Liz Truss (46) etwa ist der Ansicht, Oligarchen wie Abramowitsch seien Komplizen Putins. "Das Blut ukrainischer Menschen klebt an ihren Händen", sagte Truss im Kontext der Sanktionen, die Großbritannien gegen die reichen Russen verhängt hat. "Sie sollten ihre Köpfe in Schande senken." Auch der ukrainische Botschafter in Großbritannien sagte, er habe keine Ahnung, "was Herr Abramowitsch da macht".
Doch so umstritten der schwerreiche Unternehmer sein mag – er genießt offenbar Vertrauen auf beiden Seiten des Konflikts. Putin-Sprecher Dmitri Peskow (54) etwa bestätigte, dass Abramowitsch bei den Gesprächen in Istanbul im Auftrag Russlands agierte. Der Oligarch sei zwar kein offizielles Mitglied der russischen Delegation, so Peskow. Er solle jedoch "bestimmte Kontakte" zwischen beiden Seiten gewährleisten.
Auf der anderen Seite wissen offensichtlich auch die Ukrainer den Einsatz Abramowitschs zu schätzen. So setzte sich angeblich Präsident Selenskyj persönlich bei US-Präsident Joe Biden (79) für den Chelsea-Milliardär ein, um ihn vor Sanktionen zu bewahren. Abramowitsch, selbst jüdischer Herkunft, ließ zudem wissen, er sei unter anderem von "jüdischen Organisationen in der Ukraine" aufgefordert worden, aktiv zu werden.

Hintergrund ist nicht nur die Unternehmerkarriere des Roman Abramowitsch in Russland, bei der er jahrelang seine Nähe zum Kreml sowie zum heutigen Machthaber Putin bewahrte. Schon zu Putins Vorgänger Boris Jelzin hatte Abramowitsch gute Verbindungen. Als Wladimir Putin dann im Jahr 2000 als Nachfolger Jelzins erstmals russischer Präsident wurde, soll der Oligarch im Hintergrund die Fäden gezogen haben.
Abramowitsch startete bereits in den 1980er-Jahren als Geschäftsmann, als er mit Anfang 20 begann, einfache Produkte wie Puppen, Schokolade oder Zigaretten zu verkaufen. Beim Zerfall der Sowjetunion war Abramowitsch dann ebenso wie viele andere der heute bekannten Oligarchen zur Stelle: Er kaufte vergleichsweise günstige Anteile einstiger Staatsunternehmen und machte damit später ein Vermögen. So erwarb Abramowitsch gemeinsam mit seinem seinerzeitigen Partner Boris Beresowski (76) den Ölkonzern Sibneft für rund 200 Millionen Dollar. Einige Jahre später, als Abramowitsch eine Zeit lang als Gouverneur der russischen Provinz Tschukotka diente, gelang es ihm, die Anteile für einen Milliardenbetrag zu veräußern.
Heute steckt das Vermögen von Abramowitsch im Stahlkonzern Evraz, an dem er etwa ein Drittel der Anteile hält, sowie im Nickel- und Palladiumproduzenten Norilsk Nickel, dessen Haupteigner der russische Unternehmer und Milliardär Wladimir Potanin (61) ist. Dazu leistet sich Abramowitsch zahllose Luxusgüter: ein Privatflugzeug vom Typ Boeing 787 "Dreamliner", diverse Superyachten wie dir mehr als 160 Meter langen "Eclipse", Immobilien in New York, London, Tel Aviv, St. Barts und Aspen und natürlich den Fußballklub Chelsea FC, den er 2003 für 140 Millionen britische Pfund (heute etwa 165 Millionen Euro) erwarb.
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Abramowitschs Problem ist jedoch: Er hat wegen der Sanktionen westlicher Länder momentan wenig Freude an seinem Reichtum. Großbritannien fror die Güter des Milliardärs auf der Insel ein, auch die Europäische Union (EU) und Kanada ebenso ergriffen Maßnahmen. Abramowitsch ist deswegen nicht nur gezwungen, seinen Fußballklub Chelsea zu verkaufen, wobei für den zweimaligen Champions-League-Sieger bereits Milliardenbeträge geboten werden. Auch seinen Privatjet kann der Oligarch momentan kaum nutzen, weshalb er Berichten zufolge bei seiner Vermittlerdiplomatie zwischen Russland und der Ukraine auf Maschinen anderer Besitzer angewiesen ist.
Mindestens zwei Luxusyachten von Abramowitsch wurden zudem zuletzt in türkischen Häfen gesichtet, wo sie vor dem Zugriff etwa der EU sicher sein sollen. Außerdem wurde der Unternehmer, der in Großbritannien zur Persona non grata geworden ist, und der über Staatsbürgerschaften von Russland, Portugal und Israel verfügt, zuletzt auf Immobiliensuche in Dubai beobachtet, wo ebenfalls bislang keine Sanktionen gegen ihn greifen.
Auf rund 8,3 Milliarden US-Dollar schätzt "Forbes" das Privatvermögen von Abramowitsch gegenwärtig noch – im vergangenen Jahr, vor den aktuellen Sanktionen, waren es 14,5 Milliarden Dollar. Abramowitsch zählt damit immer noch zu den reichsten Menschen Russlands und der Welt. Doch es liegt auf der Hand, dass er allein schon wirtschaftlich ein lebhaftes Interesse daran hat, den Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu beenden. Dazu kommt, dass für Abramowitsch auch familiäre Hintergründe eine Rolle spielen dürften. Die Mutter des Oligarchen, die starb, als Abramowitsch noch ein Kleinkind war, war ukrainischer Abstammung. Seine Großeltern flohen während des Zweiten Weltkriegs vor Adolf Hitlers Truppen aus Kiew.

Auch Sofia Abramowitsch (27), die Tochter des Multimilliardärs, bezog unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine Ende Februar deutlich Stellung für das angegriffene Land – beziehungsweise gegen den Aggressor. Auf Instagram postete sie den Schriftzug "Russland will einen Krieg mit der Ukraine". Dabei war das Wort "Russland" rot durchgestrichen und durch "Putin" ersetzt. Der Post ist inzwischen allerdings nicht mehr zu finden.
So wird klar, was den reichen Russen dazu bewegt, sich zwischen den Fronten von Russland und der Ukraine um Frieden zu bemühen. Verschiedene Anekdoten aus Abramowitschs Tätigkeit als Hobby-Diplomat machen in Medien bereits die Runde, überprüfbar sind sie kaum. So berichtete die britische "Times" über einen handschriftlichen Zettel mit Vorschlägen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj an Wladimir Putin. Abramowitsch, so heißt es, habe die Botschaft persönlich im Kreml abgegeben – und von Putin eine deutliche Antwort Richtung Kiew erhalten: "Sag ihm, dass ich sie vernichten werde."
Auch mit dem deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder (77) soll sich Abramowitsch zu einem längeren Gespräch getroffen haben, als sich Schröder vor wenigen Wochen in Moskau befand. Offenbar ebenfalls einer der "bestimmten Kontakte", die der Oligarch laut Kreml-Sprecher Peskow im Auftrag Russlands pflegen soll.